Unterwegs mit der Transsibirischen Eisenbahn – Teil 2

Diesmal hat’s am Fahrkartenschalter geklappt, denn wir halten freudig ein Ticket 2. Klasse in den Händen. Der zweite Abschnitt der Transsibirischen Eisenbahn von Irkutsk nach Moskau (5.193 Kilometer) steht uns bevor und es wird also etwas mehr Komfort im Spiel sein, denn das „Kupe“ ist ein geschlossenes Viererabteil – und Vollverpflegung ist auch im Ticket inkludiert.

Zug 339 von Cita nach Moskau steht schon zur Abfahrt bereit, als wir den Bahnsteig durch das prächtige Empfangsgebäude des Bahnhofs von Irkutsk betreten. Schnell stellt sich heraus, dass unsere Abteilnachbarn aus Australien kommen und unser „Mitbewohner“ Alexander ein ganz passables Englisch spricht. Wir sind begeistert, denn die nächsten drei Tage und vier Nächte können wir also ohne Zeichensprache kommunizieren und etwas mehr über Land und Leute erfahren.

 Nach dem die Provodniza (Schlafwagenschaffnerin) bei der ersten Fahrt nicht unbedingt die Freundlichkeit in Person war, unternehmen wir einen gut gemeinten Bestechungsversuch und schenken ihr eine Tafel Schokolade. Sie dankt es uns mit vier Tagen richtig mieser Laune. Wir verfluchen sie gelegentlich, wenn sie schimpfend und oberwichtig durch den Gang trampelt. Sie hat eigentlich den ganzen Waggon auf dem Kieker und so richtet sich ihre Stimmungsschwankung wenigstens nicht direkt gegen uns persönlich. Im Grunde ist es uns wurscht, denn auch eine übellaunig geputzte Toilette erstrahlt danach in sauberem Glanz.

 Die Zeitverschiebung bringt unser Zeitgefühl während der langen Bahnfahrt komplett durcheinander. Von Vladivostok bis Moskau durchquert die Transsibirische Eisenbahn sieben Zeitzonen und so rücken wir Moskau ungefähr jeden Tag eine Stunde näher. Die lange Dunkelheit am Morgen sorgt für völlige Verwirrung, denn vor 10 Uhr setzt noch nicht einmal die Morgendämmerung ein. Irgendwann weist du nicht mehr, ob es jetzt mitten in der Nacht oder bereits Vormittag ist. Der knurrende Magen liefert aber ganz brauchbare Indizien zur Feststellung der Tageszeit. Gut, dass die Eisenbahn immer nach der Moskauer Zeit fährt, sonst wären auch die Fahrpläne nicht mehr zu verstehen. Aus der ersten Episode wissen wir ja noch, wie wichtig es ist, die exakte Aufenthaltszeit am Bahnsteig berechnen zu können. Ein kleiner Bahnsteigspaziergang bei Minus 40 Grad würde sich sonst unnötig in die Länge ziehen…

Die erwartete Vollverpflegung erweist sich als eine tägliche Mahlzeit um die Mittagszeit. Es erweckt den Anschein, als hätte die russische Staatsbahn lediglich ein Interesse daran, dass ihre Fahrgäste Moskau gerade noch lebend erreichen. Das Essen in Form von Borschtsch (Rote Bete Suppe) oder Soljanka (kennt man auch in Ostdeutschland) und einem Stück Fleisch mit exakt acht Erbsen (kein Witz, es waren jeden Tag genau gleich viele!) bewahrt uns zwar vor dem unmittelbaren Hungertod aber wir müssen „zufüttern“ um gut durch den Winter zu kommen. Gut, dass wir noch zwei Tüten voller Lebensmittel eingepackt haben. Unsere usbekischen Freunde haben uns gelehrt, dass es ohne Essen ziemlich langweilig im Zug werden kann {#emotions_dlg.wink}

Russland zeigt sich derweil von seiner schönsten Seite. Die tief stehende Sonne und der blaue Himmel setzen die vereisten Flüsse und die mit Raureif überzogene Taiga in Szene. Wir hören derweil „Rock-Christmas“ rauf und runter und schwelgen in vorweihnachtlicher Stimmung.

 Während es draußen bitterkalt ist, steigt die Temperatur nächtens – dank defekter Heizung – auf 30 Grad Plus. Wir liegen ohne Decke und in Unterwäsche schweißgebadet auf der Liege und fühlen uns mehr an Bangkok denn an Sibirien erinnert.

Unser Mitreisender Alexander ist oft geschäftlich mit der Transsib unterwegs und kennt jeden Fluss und jede Stadt – der perfekte Fremdenführer. Wir fragen ihn, warum er eigentlich nicht von Irkutsk nach Moskau geflogen sei. Die Antwort sorgt für allgemeine Erheiterung: Er hat am Montag eine geschäftliche Besprechung, die er auf jeden Fall verpassen möchte, und da der Zug erst Dienstagmorgen ankommt… {#emotions_dlg.smile} Wir haben Respekt vor dem freundlichen Familienvater, der das Wochenende mit seiner Familie opfert und vier Nächte im Zug verbringt, nur um seinem Chef aus dem Weg zu gehen.

Die Zeit vergeht wie im Nu und während wir Metropolen wie Novosibirsk, Krasnojarsk und Jekaterinburg passieren, nähern wir uns Kilometer für Kilometer Moskau. Pünktlich um 04:11 Uhr rollen wir am Jaroslawer Bahnhof in Moskau ein. Die Transsibirische Eisenbahn ist ein Pünktlichkeitswunder: Weder Schnee und Eis, noch die zahlreichen Güterzüge (die Transsib ist im Grunde eine rollende Pipeline) halten uns auf – und so legen wir 9.206 Kilometer ohne eine einzige Minute Verspätung zurück. Bis zum Betriebsbeginn der Metro schlagen wir uns noch eine Stunde um die Ohren. Alexander ist so freundlich und begleitet uns noch zum richtigen Bahnsteig, dann entschwinden wir im Dunkel des Moskauer Untergrunds.

5 Gedanken zu „Unterwegs mit der Transsibirischen Eisenbahn – Teil 2

  1. Mama, 18 Dez 2012:
    Hallo Ihr beiden Weltenbummler, heute heißt es Abschied nehmen, morgen geht der Flieger ab Richtung Heimat. Wo sind bloß die 17 Monate geblieben ? Gemischte Gefühle werden Euch auf Eurer Heimreise begleiten. Doch Ihr werdet sehnsüchtig erwartet und kehrt reicher zurück, als Ihr gegangen seid. Arrivederci il mondo,bon viaggio e benvenuto in Germania e mille baci Mama e Papa

  2. Papuschky Tilsky, 18 Dez 2012:
    so ein Sche….. schon ist der Schnee bei uns wieder weg! Letzte Gelegenheit, mit Euch auf diese Weise zu klönen, ich hab auch den Eindruzck, wenn jetzt nicht x-mas wär, würdet ihr weiterdüsen bis Alaska und wieder von vorn anfangen!!! Neeeee, jetzt freun wir uns alle auf Euch, guten Flug morgen und bis Freitag, bin ja am Do auf BOA-Weihnachtsfeier. Aber tefloniert doch bitte kurz durch, dass ich weiß, daß Ihr da seid. Dschinkl Pelz…

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