Hajargebirge – bei diesem Begriff sträuben sich heute noch sämtliche Nackenhaare. Eine kurzweilige Transferstrecke in Richtung Meer soll es sein. Gerne mit dem ein oder anderen Aussichtspunkt und einem kleinen Off Road Abstecher. Die ADAC-Straßenkarte erweist sich leider als völlig untaugliches Planungsinstrument und so brechen wir ungewollt und nichtsahnend in ein Abenteuer auf, das im Laufe des Tages ganz schön am Nervenkostüm zehren wird. Doch der Reihe nach: Die Reiseepisode nimmt ihren Lauf, als wir nahe der Ortschaft Tanuf die auserkorene Straße nicht finden. Auch nach mehreren Anläufen taucht der gesuchte Abzweig einfach nicht auf und so einigen wir uns gutgläubig auf einen Versuch mit der Staubstraße am Ortsausgang. Schnell gewinnen wir an Höhe und schrauben uns in Serpentinen nach oben.
Die Straße ist überdimensional breit, denn Verkehr ist quasi non existent Hin und wieder passieren wir Bauarbeiter, die an der Befestigung der Schotterpiste arbeiten. Die Route führt durch abgelegenes Terrain. Nur alle paar Kilometer tauchen einzelne Häuser auf. Dörfer gibt es hier oben nicht. Nach gut dreißig Kilometern Fahrt endet die Straße plötzlich. Aus und vorbei. Wir stehen im Nirgendwo und können es nicht fassen. Um uns herum befindet sich ein gutes Dutzend verlassener und verfallener Häuser. Ratlosigkeit und Ärger macht sich breit. Eine geschlagene Stunde zurück? Ätzend! Doch was bleibt uns anderes übrig? Das Auto auf der Stelle zu wenden wird zur Herausforderung. Es ist extrem steil, eng und der feine Staub ist so tief, dass die Reifen schnell durchdrehen.
An einem nahegelegenen Aussichtspunkt treffen wir einen Passanten, der ein paar Brocken Englisch spricht. Der hilfsbereite junge Mann kritzelt uns eine Karte auf einen eiligst organisierten Fetzen Papier und beschreibt uns den Weg zur Hauptstraße. Scheinbar gibt es also doch einen Ausweg aus der Sackgasse. Wir bedanken uns aufs Freundlichste und sind gespannt ob die Karte zum Erfolg führen wird.
Tatsächlich taucht nach einer Viertelstunde eine Abzweigung zu einem abseits der Piste gelegenen Dorf auf. Wir nehmen die Nebenstraße und stehen hundert Meter weiter vor einem Wegweiser mit dem gesuchten Etappenort. Die strategisch günstigere Position dieses wichtigen Hinweises (also vor und nicht nach der Abzweigung) hätte eine Menge Frust erspart. Eine gewaltige Staubwolke zieht hinter uns her, als wir ziemlich zügig über die Holperstraße flitzen. Die Stimmung steigt, Fahrspaß pur!
Eine Teerstraße liegt plötzlich vor uns. Endlich, wir haben die Hauptstraße gefunden. Nach wenigen Kilometern erreichen wir den Scheitelpunkt. Euphorisiert blicken wir auf ein überwältigendes Panorama. Wir vertreten uns ein wenig die Beine, entstauben den Wagen und schießen Fotos. Die Ruhe findet ein abruptes Ende, als eine Kolonne aus zehn Geländewagen mit deutschen Touristen auftaucht. Die Fahrer sind sichtlich beeindruckt von der Geländepatina unseres Wagens und so halten wir ein kurzes Schwätzchen. Zum Abschied erhalten wir den Ratschlag, dass wir unbedingt vorsichtig und langsam fahren sollen. Danke, na klar, wir sind doch keine Amateure. Schließlich haben wir es auf einer üblen Schotterpiste bis auf den Gipfel hoch geschafft. Bergab auf einer Asphaltstraße ist dagegen wohl ein Klacks.
Noch sind wir zu Späßen aufgelegt…
Wie verdammt falsch wir mit dieser Einschätzung liegen sollten offenbart sich bereits nach wenigen Metern Fahrt. Nach einer Kuppe wird aus der breiten Asphaltstraße nämlich eine enge und sehr holprige Piste, die zu allem Überfluss extrem steil in die Tiefe führt. Das Gefälle ist so groß, dass die Piste vom Fahrersitz stellenweise gar nicht mehr einsehbar ist. Es fühlt sich so an, als würden wir geradewegs in den Abgrund fahren. Im Schneckentempo rumpeln wir bergab. Es ist gnadenlos eng. Kilometer für Kilometer tasten wir uns voran.
Nachdem wir gefühlt 1.500 Höhenmetern verloren haben, taucht eine Ortschaft auf. Asphalt, wir sind gerettet! Doch im Gespräch mit einem freundlichen Omani stellt sich schnell heraus, dass wir leider dem unbefestigten Straßenverlauf weiter folgen müssen. Wir wollen wissen, ob unser Auto für diese Strecke tauglich sei. „Es gibt nur eine Stelle, wo ihr Allrad braucht, aber mit Differential ist das kein Problem“. Wir bedanken uns höflich und fahren mit gemischten Gefühlen davon.
Differential haben wir natürlich nicht. Riesige, entgegenkommende Geländewagen zwingen uns zu Ausweichmanövern. Unser Vehikel ist eindeutig unterdimensioniert für diese Strecke. Alle anderen Geländewagen, die wir unterwegs sichten, sind wesentlich größer, breiter, schneller, höher und lauter. In einer unübersichtlichen Kurve passiert schließlich das Malheur: Ein fetter SUV zwingt uns an die Seite und wir schrammen an einem Felsblock entlang.
Ab jetzt hat die Stoßstange auch noch einen tiefen Kratzer drin. Die Vollkaskoversicherung greift nicht bei Schäden auf unbefestigten Straßen und Versicherungsschutz besteht im Oman generell nur, wenn sofort die Polizei alarmiert wird. Wir lassen es drauf ankommen und fahren weiter. Erstmal gilt es, diesen Straßenalptraum hinter uns zu bringen. Dann taucht die befürchtete Stelle schließlich vor uns auf. Steil mit zwei Serpentinen kommt sie daher. Es liegt knöcheltiefer Sand auf der Piste. Schwung nehmen und Gummi geben ist angesagt. Das erste Drittel kommen wir gut voran, dann drehen die Reifen im tiefen Sand durch und wir bleiben stecken. Schweiß rinnt die Stirn herab, während das Fahrzeug langsam rückwärts zurück rutscht. Ein bekanntes Zitat von Erich Honecker kommt uns ironischerweise in den Sinn: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“. Auf gar keinen Fall wollen wir diese Höllenstrecke bergauf zurück fahren. Entweder wir passieren diese Stelle oder unser Abenteuer findet hier ein jähes Ende. Beim zweiten Versuch holen wir weiter aus und ackern uns frei nach Honecker den Berg hinauf. Der Scheitelpunkt rückt in sichtbare Nähe. Die Räder drehen durch, doch mit Fingerspitzengefühl und Schritttempo passieren wir die kritische Stelle. Erleichterung macht sich breit. Mit stolz geschwellter Heldenbrust meistern wir den Rest der furiosen Off-Road Strecke. Längst sind wir ein eingespieltes Team und spielen ein bisschen Paris – Dakar. Lena sagt die Kurven und Hindernisse an, Bernd kurvt lässig und mit leicht überhöhter Geschwindigkeit durch die staubige Umgebung. Die Szenerie des Hajargebirges wird so doch noch zum Hochgenuss und Selfies mit dem eingestaubten Auto kommen natürlich besonders gut zur Geltung.
Der Tag liegt bereits in den letzten Zügen, als wir nach achtstündiger Fahrt freudestrahlend unser Ziel Roustaq erreichen. Ach ja: Der Autovermieter war zwar etwas zickig wegen des Kratzers und der dicken Staubschicht, hat sich dann aber kulant gezeigt. Blöd stellen hilft immer 🙂