Nächtliche Zwangspause

Mit dem Zug??? Unsere kubanische Gastgeberin schüttelt ungläubig den Kopf, als wir unsere Pläne offenbaren, am Nachmittag mit dem Lokalzug von Santa Clara nach Cienfuegos zu reisen. Dennoch ernten wir Bewunderung und Anerkennung für unsere wilde Entschlossenheit. Um 17:40 Uhr soll der Zug in Santa Clara abfahren, wie wir bereits am Vortag am Bahnhof in Erfahrung bringen konnten. Mit den Worten „el ultimo?“ (wer ist der Letzte?) erfragen wir unsere Position in der Warteschlange, die sich irgendwann völlig unkoordiniert – und so gar nicht nach englischer Art bilden wird. Es gilt, sich das Gesicht des Anwärters auf den Platz in der Schlange vor uns, gut einzuprägen. Nach zwei Stunden Wartezeit schiebt die Schalterangestellte die kleine Scheibe zur Seite und beginnt mit dem Ticketverkauf. Wir sind freudig überrascht, dass wir in Pesos Nacionales für die beiden Tickets bezahlen dürfen und erleichtern unsere Taschen um gerade mal 20 Pesos (ca. 80 Eurocent!). Nach zwei weitere Stunden des Wartens steht der Zug dann auch schon zur Abfahrt bereit 🙂

Wir betreten den Lokalzug mit heruntergeklappter Kinnlade. Komfort haben wir nicht erwartet – mit einem Viehtransporter andererseits auch nicht gerechnet… Die Waggons sind stockduster, denn zum einen ist nur eine einzige Glühlampe funktionsbereit, zum anderen gibt es so gut wie keine Fenster. Wir finden immerhin einen Sitzplatz in Form eines vernagelten Holzbretts. Vom Klo ganz zu schweigen: ein furchtbar übelriechendes Loch im Boden – ohne Schüssel, Licht, Klopapier, Wasser und sonstigen Annehmlichkeiten. Man muss der Verzweiflung nahe sein, ehe man diesen Ort aufsucht. Alleine im Angesicht der Angst, beim nächsten Schienenstoß von dem dunklen Scheißloch verschluckt zu werden, ist es leicht, die Verrichtung der Notdurft noch um einige Stunden zu verschieben. 

Immerhin pünktlich verlassen wir Santa Clara und genießen die Aussicht durch unser „großzügiges Panoramafenster“, bis die Dämmerung hereinbricht. Gemächlich rumpelt der Zug durch die Pampa. Der Hintern zollt seinen Tribut bereits nach wenigen Kilometern und auch diese Gleise sind so unglaublich krumm und holprig, dass sich alsbald ein Gefühl einstellt, dass an Seekrankheit erinnert.

Während des Halts auf einem Zwischenbahnhof läuft der Schaffner durch den Zug und verkündet hektisch in spanischer Sprache eine unheilvoll klingende Botschaft, denn allmählich verlassen so ziemlich alle Reisende – außer uns – den Zug, wie die Ratten das sinkende Schiff. Mit unseren wenigen Brocken Spanisch bringen wir in Erfahrung, dass die Strecke wohl blockiert sei und der Zug in zwei oder vielleicht auch erst drei Stunden weiter fahren würde. Vielleicht? Klapp – Kinnlade erneut runter… Mitreisende bieten uns an, gemeinsam nach einem Autostopp nach Cienfuegos zu suchen. Wir lehnen dankend ab, schließlich ist es stockdunkel und wir kennen die Gegend nicht. Wir überlegen gerade, wie sich wohl die langen Stunden totschlagen lassen, als die einzige Glühbirne in unserem Waggon erlischt – Strom und Diesel sparen ist angesagt. Wir lassen uns die Laune nicht versauen, schließlich hat uns die Bahnfahrt nur einen Bruchteil dessen gekostet, was die anderen Urlauber für den Touristenbus „Viazul“ zahlen. Und ein Abenteuer gibt’s obendrein kostenlos dazu. Tatsächlich passiert so ziemlich geschlagene zweieinhalb Stunden in dem stockdunklen Zug überhaupt nichts (von einem Erdnussverkäufer abgesehen, der unseren schlimmsten Hunger etwas lindern kann). Irgendwann springt der Diesel wieder an, der Zug pfeift einige Male und die Sitzreihen füllen sich allmählich wieder mit Reisenden, ehe sich der Zug erneut in Bewegung setzt. Gemächlich schleichen wir durch die Nacht. Die Fahrt auf dem Trittbrett durch die laue Sommernacht entschädigt so manche Unannehmlichkeit und im Grunde sind wir den Kubanern sogar noch dankbar für dieses entschleunigte Gefühl des Reisens. 

Kurz vor Mitternacht erreichen wir Cienfuegos mit dreieinhalbstündiger Verspätung. Unsere Gastgeberin empfängt uns herzlich am Bahnhof und entschuldigt sich für ihr Land und dessen verrücktes Eisenbahnsystem – auch sie hat lange auf den Zug gewartet. Wir verputzen genüsslich unser Nachtmahl und fallen müde in die Federn. Ach, was ist die Deutsche Bahn doch komfortabel, schnell und pünktlich! Angesichts der Tatsache, dass wir für die Strecke von 57 Kilometern insgesamt achteinhalb Stunden unterwegs waren, lernt man die Annehmlichkeiten zu Hause wieder zu schätzen.

2 Gedanken zu „Nächtliche Zwangspause

  1. Irmgard, 14 Nov 2011:
    Wie spannend, malerisch und aufregend ihr von eurre Zugfahrt schreibt. Da bekomme ich ganz konkrete Bilder von euch und vom Zügle in meinen Kopf. Vor allem den Bernd, wie er so außen am Zug hängt und seine kurzen Haare vom Wind doch ganz schön in Schwung kommen. Das hätte dir Bodo doch niemals erlaubt!!!

Schreibe einen Kommentar zu projektfernweh Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert