Mit dem Daimler durch Bolivien oder plötzlich Werbefilmstar

Tag 1
Was? Ausgebucht? Die Enttäuschung ist groß, dass es keine Tickets mehr für den Touristenzug nach Uyuni geben sollte. Da wir (na gut, in erster Linie Bernd) auf Schienen durch Bolivien reisen wollen, muss eine Alternativroute her. Die ist allerdings so verwegen, dass wir uns selbst nicht so sicher sind, ob es tatsächlich funktionieren würde. Vom Titicacasee geht es über La Paz (Gottseidank nur dreißig Minuten Aufenthalt in diesem Moloch) ins etwa 550 Kilometer entfernte Cochabamba. Dort startet dreimal die Woche ein Schienenbus in ein kleines Städtchen namens Aiquile.

Tag 2
In der Früh um Sechs müssen wir raus aus den Federn, um rechtzeitig vor Abfahrt ein Ticket zu ergattern. Der Beamte will zwar erst nicht so recht, zehn Minuten vor Acht halten wir dann aber überglücklich zwei Tickets für die letzten Sitzplätze in der Hand. Als wir unser Reisegefährt erblicken, wird klar, dass der Terminus Schienen“Bus“ wörtlich zu nehmen ist. Wir finden ein Mercedes-Benz-Busgestell vor, welches kurzerhand auf zwei Drehgestelle geschraubt wurde, um fortan auf Schienen rollen zu können. Pünktlich verlassen wir mit unserem urigen Gefährt also Cochabamba – exakt 10 Minuten später hält der Zug das erste Mal für eine 25-minütige Frühstückspause, die nicht im Fahrplan verzeichnet ist, dem „Lok“Führer hat es morgens wohl nicht mehr zum Frühstück gereicht. Ein zehnköpfiges Kamerateam mit zwei Schauspielern besteigt den Zug und beglückwünscht alle Fahrgäste dazu, heute als Statisten in einem Werbespot auftreten zu dürfen. Die bolivianische „Telekom“ hat ihre Netzabdeckung für Handys verbessert – und was wäre da passender als mit einem „autoferro“ durch die Pampa zu fahren und dort einen Werbefilm zu drehen. Die junge Assistentin entschuldigt sich schon mal prophylaktisch für die Verspätung, die im Laufe der Fahrt auftreten wird. Na gut, wir haben ja Zeit, denken wir amüsiert. Der Schienenbus setzt sich wieder in Bewegung und die Kameraleute beginnen mit den Vorbereitungen. Gepäck wird in Szene gesetzt, wir müssen von rechts nach links umsitzen, die alte Dame vor uns muss auf einem harten Holzbrett Platz nehmen, damit ihr Kopf über den Sitz des Vordermanns ragt. Und bitte bloß nicht direkt in die Kamera schauen… Wir machen den Spaß mit und sind erfreut, als wir am nächsten Drehstopp mit Empanadas und Erfrischungsgetränken versorgt werden. Im Laufe der Fahrt hält der Zug an den landschaftlich schönsten Stellen und es werden weitere Aufnahmen gedreht. Hocherfreut darf Bernd mit aussteigen und so einmalige Fotos von außen schießen, die ansonsten nicht möglich gewesen wären. Als sich die Dreharbeiten dem Ende neigen, haben wir bereits drei Stunden Verspätung gesammelt. Doch man versüßt unsere Geduld mit einer Erstattung des Ticketpreises (je ca. 2,20 Euro) und einer Aufwandsentschädigung (je ca. 7,70 Euro) in bar. Nach fast zwölf Stunden kommen wir in der Abenddämmerung an und finden schnell ein Nachtquartier. Es sollte der erste (und einzige) „Null-Euro-Tag“ unserer Reise gewesen sein, denn die Aufwandsentschädigung hat genau für das Abendessen und die Übernachtung gereicht.

Tag 3
Am nächsten Morgen machen wir uns auf die Suche nach einer Transportmöglichkeit ins etwa 140 Kilometer entfernte Sucre. Wir hätten Glück heißt es, der Bus fahre nur zweimal die Woche und heute am Sonntagabend um 19:30 Uhr wäre es wieder so weit. Wir sind jedoch alles andere als begeistert davon, dass der Bus wesentlich länger brauchen sollte als erwartet – und wer will schon nachts um 02:00 Uhr in einer fremden Großstadt ohne Zimmerreservierung ankommen. Ferner eignen sich die bolivianischen Straßenverhältnisse überhaupt nicht für Nachtfahrten, weswegen sich regelmäßig schwere Verkehrsunfälle ereignen. Verzweifelt fragen wir uns anderthalb Stunden durch die Straßen. Kein Taxifahrer, keine Busgesellschaft kann uns helfen. Doch wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her… Das Lichtlein ist ein parkender Bus mit der Aufschrift „Sucre“. Während Bernd ins Hotel rennt und die Rucksäcke in Windeseile packt, bezirzt Lena den Busfahrer solange bis wir schließlich mitfahren und vier Stunden im Mittelgang stehen dürfen. Immer noch besser als mitten in der Nacht auf einer Schotterpiste durch die Anden zu fahren, denken wir. Wir lernen ein nettes Pärchen kennen und erfahren, dass der Bus (zu unserem Glück) wegen einer Motorpanne neun Stunden Verspätung hat und nur aufgrund einer Mittagspause in Aiquile stoppte. Zufälligerweise betreibt die Großmutter der Beiden ein Hotel in Sucre. Dankend nehmen wir das Angebot an, man offeriert uns sogar eine Mitfahrgelegenheit im winzigen Familien-Pkw. Lief doch gar nicht schlecht, geht es uns durch den Kopf, als wir todmüde auf unsere komfortablen Betten fallen.

Tag 4
Wieder klingelt der Wecker zu unchristlicher Zeit. Und wieder geht es mit dem Taxi zum Bahnhof, in der Hoffnung, ein Ticket für den Schienenbus von Sucre nach Potosi zu ergattern. Ohne Probleme händigt uns der „Jefe de Estacion“ diesmal zwei Fahrkarten für je 25 Bolivianos (weniger als 3 Euro) aus. Es regnet in Strömen und mit einer Stunde Verspätung rückt schließlich ein Volkswagen auf Schienen an. Ob der deutsche Konzern wohl weiß, dass eines seiner Busmodelle „zweckentfremdet“ wird? Die Strecke verläuft idyllisch am Ufer eines hochwasserführenden Flusses entlang. Immer wieder muss der Lokführer anhalten. Die Gleise sind an einigen Stellen komplett verschüttet. Kein Problem! Der Schaffner schreitet zum Werkzeugschrank und holt die Schaufel raus. Nach einigen Minuten körperlicher Anstrengung können wir die Fahrt fortsetzen. Der Zug windet sich stundenlang durch eine atemberaubende Landschaft und gewinnt mehr und mehr an Höhe. Potosi gilt mit über 4.000 Metern als die höchst gelegene Stadt der Welt und so erleben wir eine Fahrt durch zerklüftete Bergmassive, wie sie schöner nicht sein könnte. Für viele Bergdörfer ist die Eisenbahn die einzige Verbindung zur Außenwelt und darum rollt auch hier dreimal die Woche ein „Zug“ aus Gründen der Daseinsvorsorge. Unterwegs steigen zahlreiche Dorfbewohner mit ihren Waren zu, die auf dem Dach verstaut werden. Im Zug geht es zu wie in einem Taubenschlag. Fröhliche Menschen drängen und unterhalten sich lautstark. Wir machen ein paar Kinder glücklich, in dem wir Lollies verteilen. Die Zeit vergeht wie im Nu und bald sind wir – mit diesmal nur anderthalb Stunden Verspätung – in Potosi angekommen.

Tag 5
Nur noch vier Stunden Busfahrt trennen uns von Uyuni, dem eigentlichen Ziel unserer Bolivienreise. Die Fahrt verläuft teils auf Asphalt, teils auf Schotter durch eine relativ trostlose und karge Berglandschaft. Wir erreichen Uyuni – von wo die Jeeptouren in die berühmte Salzwüste starten – nach einer Gesamtreisezeit von an die 40 Stunden. Was für eine abenteuerliche Rundfahrt! Ein gutes Gefühl, mal wieder abseits des „Gringo-Trails“ unterwegs gewesen zu sein, denn außer einem Schweizer Eisenbahnfreund haben wir im Zug keinerlei Touristen getroffen. Dafür sind wir um unzählige Eindrücke reicher, um die uns andere sicherlich beneiden würden.

2 Gedanken zu „Mit dem Daimler durch Bolivien oder plötzlich Werbefilmstar

  1. Magda, 01 Feb 2012:
    ….ich lach mich schlapp!!Wieder einmal n lustiges Geschichtle erlebt,was??für Bernd wahrscheinlich unschlagbar dieses besondere Zügle, oder?? müssen dann mal im internet suchen sobald der spot evtl online ist….das muss ich sehen!!Alles Liebe Euch!!Grüssle Magda

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