Wir fassen den Entschluss, nicht die übliche Touristenroute nach Süden einzuschlagen, sondern „ab vom Schuss“ – quasi mitten durchs Niemandsland – zu reisen. Dass dieses Vorhaben nicht ganz einfach werden würde, ist uns von vornherein klar. Die sog. „Carretera Austral“ ist die unbefestigte Verlängerung der Panamericana und ab Puerto Montt die einzige Straße, die auf chilenischem Territorium gen Süden führt. Die meisten Reisenden fliegen spätestens ab dort oder fahren durch die monotone argentinische Pampa in Richtung Patagonien. Voller Vorfreude auf 800 Kilometer Abenteuer begeben wir uns an den Ticketschalter am Busbahnhof von Puerto Montt und erleben prompt den ersten Rückschlag: drei Tage warten auf ein Busticket. Man muss erwähnen, dass im Februar alle Chilenen Urlaub haben und das ganze Land mit Sack und Pack und Kind und Kegel unterwegs ist. Na gut, ist ja nicht so schlimm, wir fahren ein Stückle zurück nach Norden und machen drei Tage wirklichen Urlaub an einem schönen See mit Blick auf den Vulkan Osorno.
Am Sonntag geht die Reise in Puerto Montt dann endlich los. Die 200 Kilometer lange Reise dauert den ganzen Tag. Die Straße konnte aufgrund der schwierigen Topographie bis heute nicht durchgängig fertig gestellt werden und so ist eine vierstündige Fährpassage Teil der wunderschönen Strecke. In Chaiten kommen wir spät abends um 22:30 Uhr an. Es folgt der zweite Rückschlag: Alle Unterkünfte sind ausgebucht! Nach der zehnten Absage freunden wir uns widerwillig mit dem Gedanken an, möglicherweise draußen zu nächtigen. Aufgrund der Kälte aber eigentlich undenkbar – und Schlafsack oder Zelt haben wir auch nicht dabei. Super Situation! Die beiden allerletzten Betten im Ort finden wir dann doch nach langer Suche. Wir haben die Freude, direkt über der Küche eines Fischrestaurants in einem Matratzenlager schlafen zu dürfen. Kurz vor dem Einschlafen haut der Koch noch einen stinkenden Fisch in die Pfanne, der uns die Luft hier oben so richtig versüßt. Am nächsten Morgen verlassen zwei nach Räucheraal müffelnde Globetrotter hektisch die Fischbude, um an der frischen Luft auszudünsten und im Reisebüro die Bustickets für die nächste Etappe zu organisieren. Da ja ganz Chile Urlaub macht und die Nachfrage nach Transportleistungen extrem hoch ist, gehen wir davon aus, passende Busverbindungen vorzufinden. Nach Ansicht der Chilenen reicht es aber völlig aus, wenn ein einziger Bus pro Woche die von uns gewünschte Strecke befährt. Zähneknirschend kaufen wir uns ein Ticket für eine andere, verhältnismäßig kurze, Teilstrecke und warten fünf Stunden am Straßenrand auf die Abfahrt ins 160 Kilometer entfernte „La Junta“- Hauptsache weg hier. Kaum am Ziel angekommen, marschieren wir schnurstracks zur Carretera und versuchen per Autostopp voran zu kommen – denn der einzige Bus ist morgen und übermorgen bereits ausgebucht (was zu erwarten war…). Nach zwei endlosen Stunden im kalten Wind geben wir frustriert auf und nisten uns in einem billigen Hostel für die Nacht ein. Morgen haben wir bestimmt mehr Glück…
Wir wollen vor den vielen anderen Backpackern hier weg und stehen bereits morgens wieder am Straßenrand. Zwischen 08:00 und 09:30 kommen gerade mal vier Autos vorbei. Das hat sich dann wenigstens genauso gelohnt, wie der Weg zur Bäckerei, die aufgrund der Ferien ohnehin geschlossen ist. Also harren wir ohne Frühstück aus. Endlich hält ein Auto an und nimmt uns etwa 15 Kilometer mit. Leider haben wir nicht das gleiche Ziel und so stehen wir kurz darauf in der Wildnis. Wir hoffen auf den „Mitleidsfaktor“. Mal ehrlich: zwei einsame Backpacker mitten in Patagonien, der nächste von Menschen bewohnte Ort 35 Kilometer entfernt, wer würde da nicht anhalten? Nach drei Stunden stellen wir ernüchtert fest, dass das Warten am Straßenrand im Nirgendwo nicht funktioniert. Also schnallen wir die Rucksäcke auf und marschieren die Schotterpiste entlang. Beim Laufen wird es einem wenigstens warm. Vielleicht funktioniert es ja, wenn man beim Trampen wandert und mitleidig dreinschaut? Nach etwa dreieinhalb Stunden und neun Kilometern Fußmarsch schmerzen Rücken und Füße vom vollen Marschgepäck. Wir sind der Verzweiflung nahe und schmieden einen Plan B. Entweder wir finden eine Scheune oder wir wandern die ganze Nacht durch und erreichen unser Ziel gegen 4:00 morgens. Zwei Äpfel, eine Zwetschge, eine Packung Erdnüsse und ein Liter Wasser würden unser Überleben sicherstellen. Dass noch ein Auto anhalten würde haben wir schon fast ausgeschlossen, von den vier Autos pro Stunde hat noch keines gestoppt. Als mal wieder ein Pick-up mit einer schönen leeren Ladefläche an uns vorbei holpert, fuchtelt Lena sehr wütend mit den Händen und gibt dem Fahrer zu verstehen, dass die Ladefläche doch schließlich frei sei. Das hat gewirkt! Im Rückwärtsgang kommt der Fahrer demütig daher und lässt uns aufspringen. Durchgeschüttelt wie ein Bond-Martini kommen wir schließlich am frühen Abend doch noch in Puyuhuapi an. Schnell zum Busschalter (der eigentlich ein Cafehaus ist) – ihr ahnt es bereits – alles ausgebucht. Begleitet von Bernds F**k-Gemurmel buchen wir ein Ticket für den darauffolgenden Tag.
Nur ein guter Morgen beginnt mit einem Kaffee und so machen wir uns am nächsten Tag auf zu unserem Café (das neben leckeren Kuchen wie gesagt auch Bustickets verkauft). Schon aus der Ferne entdecken wir eine kleine Notiz am Gartentor. Das hässliche Wort „cancelado“ sticht uns schon von weitem ins Auge und so müssen wir die restlichen Zeilen gar nicht mehr lesen, denn es ist längst klar, dass kein frischer Kaffee, sondern eine wirklich miese Nachricht auf uns warten würde. Nach mehreren Anläufen erfahren wir dann auch den Grund für die Streichung sämtlicher Busverbindungen in den nächsten drei bis vier Tagen. Die Fischer sind mit den hiesigen Fangquoten nicht einverstanden und blockieren aus Protest einige Straßen, so dass keine Tanklastzüge mehr durchkommen und die wenigen Tankstellen in der Gegend auf dem Trockenen sitzen. Na toll, läuft ja wieder großartig… Wären wir nicht in Eile (schließlich haben wir Anfang März einen Flug nach Neuseeland gebucht), hätten wir das ja noch witzig gefunden. Die gute Frau vom Kuchenverkauf macht uns dann aber doch noch Hoffnung. Gegen 14:00 würde ein vollbesetzter Bus vorbeikommen, vielleicht könnten wir den Fahrer überzeugen, uns mitzunehmen. Wir verbringen also den Mittag mit unserer neuen Lieblingsbeschäftigung: gelangweilt am Straßenrand sitzen und warten. Als nach vier Stunden immer noch kein Bus um die Ecke biegt, geben wir entnervt auf und besorgen uns Spaghetti und Rotwein im kleinen Dorfsupermarkt, checken in einem tollen Hotel ein – und stellen uns abermals auf mehrere Tage „Zwangsurlaub“ ein. Gerade als wir beginnen, uns mit der neuen Situation anzufreunden, bietet unser Hotel eine private Mitfahrgelegenheit am nächsten morgen um 05:00 an. Freudig sagen wir zu – und tatsächlich klappt alles wie vorgesehen. Schade nur, dass wir ausgerechnet den landschaftlich schönsten Abschnitt der Carretera bei völliger Dunkelheit passieren. War ja klar bei unserm Glück…
In Coyhaique, der Provinzhauptstadt, haben wir dann endlich mal Dusel. Wir müssen „nur“ siebeneinhalb Stunden warten und dann bringt uns auch schon ein Minibus ruckzuck weiter. Man wird geduldiger und ausdauernder, was das Warten angeht. Immerhin haben wir noch Anschluss an die einzige Fähre des Tages, die uns nach Chile Chico über den Lago Buenos Aires bringt. Da sich die Carretera Austral für uns als Sackgasse erwiesen hat – und bis Feuerland immer noch an die 2.000 Kilometer fehlen – entscheiden wir uns für die Notbremse und reisen von Chile Chico nach Argentinien aus. Auch wenn es uns schmerzt, es war wahrscheinlich die richtige Entscheidung, denn die letzte Etappe wäre nur noch mit dem Boot und anschließend zu Pferd über einen Pass möglich gewesen.
Die Grenzpassage nach Argentinien verläuft erschreckend einfach und an der Endstation in Perrito Moreno entdecken wir sogar einen wartenden Nachtreisebus. Nachdem klar war, dass dessen Fahrt südwärts geht, kaufen wir kurz entschlossen die letzten Tickets und düsen los. Dass die Reise 15 Stunden dauern würde, erfahren wir genau so spät, wie die Tatsache, dass wir 300 Kilometer über unser Ziel hinaus schießen werden. Nach einer erstaunlich geruhsamen Nacht steigen wir in einen anderen Bus um, und fahren die vielen Kilometer wieder in Richtung Nordwest zurück. Abends, an unserem geplanten Ziel in El Calafate angekommen, stellt sich heraus, dass wegen des verlängerten Karnevalwochenendes und eines Festivals 99% aller Betten belegt sind. Man offeriert uns die letzten Zimmer für 180 Dollar, wir lehnen dankend ab und besteigen notgedrungen einen Bus (ausnahmsweise gibt’s sogar noch Tickets), der uns in den nächstgelegenen Ort 200 Kilometer NÖRDLICH (verdammt!) bringen wird. In El Chalten wieder der gleiche Spaß… Die Idee mit dem Weiterfahren hatten wohl Andere vor uns auch schon. Nach nunmehr 32 Stunden Busfahrt sind wieder alle Betten ausgebucht. Wir müssen wohl oder übel mit einem Mehrbettzimmer mit durchgelegener Matratze vorlieb nehmen. Mit letzter Kraft schalten wir den Computer an. Endlich wieder Internet! Die erste Email die eintrudelt verheißt nichts Gutes: Flug nach Neuseeland vorverlegt, Umbuchung – trotz des Fehlers der Airline – auf eigene Kosten. Die Nerven liegen blank, statt eines Drahtseils hindert uns nur mehr ein seidener Faden vor dem endgültigen Durchdrehen. Tja: Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß…
Pa Tilmann, 20 Feb 2012:
Ohhhhh, die Glückssträhne konnt ja nicht ewig weitergehen, aber das Bild von Lena ist ja sehr fröhlich! Ihr werdet das schon hinkriegen! Weiß bloß nicht wo „in der Pampa“ Ihr gerade seid. Das Calfate (kommt das von Kalfatern=mit Teer abdichten o.ä.?) hab ich gefuinden aber wahrscheinlich wisst Ihr selber nicht mehr, wo Ihr gerade seid, ist wohl wie bei den Hütchenspielen: du bist die ganz sicher und schwups ist alles wieder anders! Oder „Mensch ärgere Dich nicht“, kurz vor dem Ziel rausgeflogen! Schaut bloß, dass Ihr in 14 Tagen in Auckland am Airport steht, sonst krieg ich auch noch die Krise!! Ich denke doch, ein halbes Jahr Reisen hat Euch eines gelehrt: alles wird gut! Bis bald, freu mich wahnsinnig auf Euch; Pa Tilmann
Katrin Schwarz, 21 Feb 2012:
Hallo ihr zwei! Das sind ja keine so tollen Nachrichten. Da stellt man mal wieder fest , wiie organisiert es in Deutschland abläuft. Habe leider erst heute ( 22.02) in euren Blog geschaut. Ich weiß ja nicht ob es euch noch helfen könnte, ich habe eine Bekannte die seit Oktober in Chile ist und dor in einem Kinderheim in Arica ärbeitet und schon paar mal in Chile Urlaub gemacht hat. Sie hat dort auch schon einige Dinge erlebt, abr sie kenn sich sehr gut aus. ich weiß das sie im März wieder zurück nach Deutschland ùber Neusseland fliegt. Wenn ihr noch Hilfe bzw Tips brauchen könnt, dann gebt mir doch Bescheid, dann kann ich euch die E Mail Adresse geben. Weiß nicht ob wir euren Blog Kontakt aufnehmen können, ansonsten lässt es mich über Bernd seine Mutter wissen,das wäre kein Problem.
Ein Hoch auf unsern Busfahrer, 21 Feb 2012:
Was klingt dat fies was ihr da mitmacht aber wie sagt man so schön – „haste Scheiße am Fuß ……“ Hoff ihr kommt ab jetzt besser voran, erwischt euern Flieger und könnt vor allem die letzten Wochen in Südamerika auch noch ein wenig genießen! Bis bald….Grüße Thommy
Lena und Bernd, 24 Feb 2012:
@Katrin: Vielen Dank für die Tips, aber wir sind jetzt doch ganz gut durchgekommen… @Thommy: Haben doch noch einen Fussabtreter für die „Sch…“ gefunden 😉